Enez Eusa – Île d’Ouessant

Qui voit Ouessant voit son sang.
Wer Ouessant sieht, sieht seinem Blut (also seinem Ende) entgegen.

Ouessant, auf bretonisch Enez Eusa, ist nicht nur die westlichste Insel der Bretagne, sondern auch die westlichste Frankreichs. Sie hat viele Namen: Insel der Schiffsunglücke, Insel der Leuchttürme, Insel der Schafe. Sie markiert die Einfahrt in den Ärmelkanal und liegt daher an einer viel befahrenen Route. Allerdings birgt sie für Seeleute einige Gefahren, denn die Passage du Fromveur zwischen dem Archipel von Molène und der Île d’Ouessant ist von den mächtigsten Gezeitenströmungen Europas geprägt. Dazu kommen unzählige Felsen und Klippen, teilweise sichtbar, teilweise aber auch unter der Wasseroberfläche verborgen. Besonders tückisch wird es, wenn Wind und Strömungen gegensätzlich arbeiten und aufeinanderprallen. Auch aktuell kommt es immer wieder zu Schiffsunglücken in der Iroise. Im Musée des Phares et Balises gibt es eine Seekarte zu bestaunen, in der die zahlreichen Schiffsunglücke um Ouessant eingezeichnet sind: von der mit Kakao und Reis beladenen französischen Fregatte Atlas (1739 gekentert) über den englischen Dampfer Drummond Castle (1896 gekentert, 243 Tote) bis zu neuzeitlichen Unglückspötten wie der Olympic Bravery (1976) oder der Amoco Cadiz, die im Jahre 1978 eine gigantische Ölpest verursachte.

Nul n’a passé Fromveur sans connaître la peur.
Niemand hat Fromveur (bretonisch großer reißender Bach) passiert, ohne die Angst kennengelernt zu haben.

Die 15,58 km² große Insel, die wie fast alles in der Bretagne aus Granitstein besteht, ist zwar bewohnt, aber trotz der Bewohner*innen und der zahlreichen Tourist*innen, die meisten von ihnen Tagestourist*innen, hat sich die Insel dank ihrer Abgeschiedenheit eine reiche Flora und Fauna und überhaupt ihren eigenen Charme und ihre spezielle, raue und wilde Identität bewahrt. Seit 1989 ist die Insel ein UNESCO Welt-Biosphärenreservat. Die Landschaft ist einerseits von schroffen Granitfelsen geprägt, um die die tosenden Wellen peitschen, andererseits überziehen überall Heideteppiche und Flechten den Boden. Vielen Mythen rangen um die Insel. Es ist nicht verwunderlich, dass sie die Kelten für das letzte Tor ins Jenseits hielten. Sie ist das Penn-ar-bed, das Ende der Welt.

Bei sonnigstem Juliwetter machen wir uns mit dem Boot von Le Conquet nach Ouessant auf. Schon lange habe ich den Traum, die Insel kennenzulernen. Im Sommer haben wir natürlich keine Chance auf Herbststürme und das typische Bild von den von Wellen gepeitschten Leuchttürmen, dafür ist die Überfahrt bei ruhiger See und Sonnenschein nicht zu verachten. Trotz des wolkenlosen Himmels ist die Sicht nicht klar, und so können wir erst, nachdem wir von der Île de Molène abgelegt haben, Ouessant schemenhaft erspähen. Im Vorfeld hatte ich die Überfahrten, eine Übernachtungsmöglichkeit und sogar zwei Fahrräder gebucht, denn die angenehmste Art, sich auf der Insel fortzubewegen, ist mit dem Fahrrad. Leider begleiten uns auf der Überfahrt weder Robben noch Delfine, aber vielleicht hätten wir die vor lauter Menschenmassen an Deck auch schwerlich gesehen.

Nach dem Anlegen in Stiff schieben wir uns mit vielen Tagesgästen von Bord und die Straße hoch, wo schon mehrere Fahrradhändler mit hunderten von Rädern auf die Tourist*innen warten. Wir besorgen uns zwei Räder (stabil, recht neu, 24 Gänge, inkl. Gepäckkorb) und fahren los. Unser Zeitplan ist straff, denn die Wettervorhersage war sehr deutlich: an diesem Tag bis nachmittags um 3 Sonnenschein, danach bis zum Abend des nächsten Tages durchgängig Regen. Es ist elf Uhr, es bleiben also knapp vier Stunden für Fotos bei schönem Wetter. Auf geht’s!! Nach einem Stück über die Straße, die weiter nach Lampaul, zur Hauptstadt der Insel führt, biegen wir in Richtung nördlicher Küste ab. Über schmale Wege geht es durch Farn und Heidelandschaft vorbei an kleinen Bauernhäuschen, Steinmauern für die Weide- und Feldbegrenzung zur Île de Keller, die bei Ornitholog*innen für ihre Artenvielfalt bekannt ist. Die Sonne färbt die Granitfelsen in einem gelblichen Ton, und dank des milden und ausnahmsweise nicht windigen Wetters spült das glatte Meer sanft um die schroffen und zerklüfteten Felsen. Die Schönheit der Natur ist überwältigend. Eigentlich möchten wir verweilen, aber es zieht uns in Richtung Pern, der nordwestlichen Landzunge, denn dort sind die schroffsten Felsen und vor allem die Aussicht auf die drei Leuchttürme Créac’h, Nividic und La Jument. Durch viele kleine Weiler radeln wir westwärts. Überall sehen wir kleine weiße Häuschen, denen man ansieht, dass sie den Herbststürmen trotzen können, und die mit ihren blau angestrichenen Sprossenfenstern und Schlagläden ein bisschen Farbe in den tristen Inselwinter bringen.

Wir erreichen den Leuchtturm Créac’h. Er ist der hellste Leuchtturm Europas. Ein „Fegefeuer-Leuchtturm“, wie die Breton*innen ihn einteilen. Als „paradis – Paradies“ werden die Leuchttürme auf dem Festland bezeichnet, als „purgatoire – Fegefeuer“ Leuchttürme auf einer Insel und schließlich als „enfer – Hölle“ die Leuchttürme, die man im Meer auf Felsen gebaut hat und die meist nur mit dem Boot zu erreichen waren. Créac’h, dessen Licht etwa 35 km weit scheint, dient gut als Orientierungspunkt auf der Insel: Seine schwarz-weißen Streifen erkennt man auch bei diesigem Wetter gut. Heute beherbergt er in der ehemaligen elektrischen Zentrale das Musée des phares et balises, das wir uns für schlechtes Wetter aufheben. Viele Tourist*innen streifen um den Leuchtturm, zig Fahrräder lehnen an Zäunen, während die Menschen auf den Felsen picknicken oder sie waghalsig erklimmen. Die Felsen werden immer zerklüfteter und ragen hoch in den strahlend blauen Himmel.

Auf einem der Felsen ragt ein würfelähnlicher Kasten aus Stein in die Höhe, der unsere Aufmerksamkeit weckt. Es handelt sich um eine Unterwasserglocke, die 1912 in Betrieb genommen und vom Leuchtturm aus bedient wurde. Schiffe, die mit Hydrophonen ausgestattet waren, konnten die mittels der cloche sous-marine ins Wasser übertragenen Schallwellen ihren Standort bestimmen. Gerade bei dem starken Seegang und der manchmal sehr schlechten Sicht eine hilfreiche Sache. Wir machen kurz Halt am typischen Fotomotiv vor der Pointe de Créa’h, wo eine massige Betonbrücke mit Natursteinbögen zu einer kleinen Insel mit spitzen und hohen Felsformationen führt. Betreten dürfen wir die Brücke leider nicht, das obligatorische Foto schieße ich aber dennoch vom Inselfestland aus. Wir radeln weiter nach Westen. Auf ein Mittagessen verzichten wir, um jede Minute guten Wetters auszunutzen. So erreichen wir die Pointe de Pern, den westlichsten Zipfel Kontinentalfrankreichs. Von hier aus hat man Aussicht auf gleich 3 sehr faszinierende Leuchttürme: Richtet man den Blich nach Osten, erblickt man landeinwärts den gestreiften Phare de Créac’h hinter vielen zackigen Felsen, Richtung Osten und somit in Richtung Meer fällt der Blick auf Nividic. Er zählt zwar zu den Enfer, eine Seilbahnkonstruktion verbindet Nividic aber mit dem Festland. Hierzu wurden zwei Türme im Wasser stehend vorgelagert, und so konnten Leuchtturmwärter und sonstiger Transport via Seilbahn auf den Phare gelangen.

Der dritte Leuchtturm ist meiner Meinung nach auch der faszinierendste: le phare de la Jument. Er ist ein „richtiger“ Enfer. 1904 wurde mit seinem Bau begonnen – auf einem kleinen Felsen mitten im Meer, am Rande des Fromveur. Anlass für seine Errichtung war das schreckliche Schiffsunglück der Drummond Castle, das oben erwähnt wurde. Ein Leuchtturm musste also dringend her, um die Zahl der Schiffsunglücke zu dezimieren. Sichtbar wird er, wenn man den Blick südlich richtet. Eigentlich. Wir haben allerdings Pech: Der angekündigte Wetterumschwung kommt, innerhalb einer Viertelstunde ist der Himmel komplett wolkenverhangen, und es beginnt zu regnen. Ganz zarter und sanfter Nieselregen, der sehr angenehm auf der Haut ist. Und – seien wir ehrlich – zu Ouessant passt auch eher Nieselregen als Hochsommerwetter mit blauem Himmel und 30 Grad. Der Nachteil liegt allerdings auf der Hand: La Jument verschwindet zusehends im Dunst und Grau.

Inzwischen ist es drei Uhr nachmittags. Wir machen uns auf den Weg zu unserer Unterkunft. Dazu müssen wir durch den Hauptort Lampaul hindurch und weiter in den Weiler Porsguen. Obwohl wir nur schnell durch Lampaul durchradeln, bietet der Ort auf den ersten Blick mehr, als wir erwartet haben: zwei Supermärkte, einen Bäcker, mehrere Restaurants und Bars, ein paar kleine touristische Geschäfte und sogar einen Friseur- und einen Waschsalon – und sicher ein paar Geschäfte, die wir nicht gesehen haben. Es geht an der Kirche Saint Pol-Aurélien und am Friedhof vorbei, dann steil bergab zum Hafen und dem Plage de Corz und wieder steil bergan nach Godec, dem nächsten Ort. Von hier ist es nur noch ein paar Meter bis nach Porsguen. Wie finden wir nur unsere Unterkunft? Die Adresse lautet nur Porsguen, ohne Straßennamen oder Hausnummer. Ich frage eine Frau, die im Garten die Wäsche aufhängt. Wir lachen, als sie mir erklärt, dass der Name Jezequel sehr verbreitet auf der Insel sei. Sie kann mir leider nicht weiterhelfen. Also rufe ich kurzerhand bei unserer Wirtin an und schildere, dass wir in Porsguen sind und dass wir an einem großen Kreuz am Straßenrand stehen. Noch während wir telefonieren, kommt mir Frau Jezequel winkend entgegen. Sie zeigt uns ihr hübsches Haus. Ein typisches weißes Haus mit blauen Fenstern und Schlagläden. Von unserem Zimmer aus haben wir Blick aufs Meer. Herrlich, trotz des schlechten Wetters. Madame Jezequel fragt, wann wir frühstücken möchten. Als ich antworte, so gegen acht Uhr und dabei ihren erstaunt-fragenden Gesichtsausdruck sehe, verbessere ich schnell: Halb neun. Sie lächelt und fragt, ob wir Croissants mögen. Natürlich, Croissants wären toll. Dann erklärt sie, wo sie einen Schlüssel deponiert, falls wir spät heimkommen.

Wir brechen im Nieselregen wieder auf und radeln nach Penn ar Viler. Wir haben außer ein paar Keksen noch immer nichts gegessen, aber mich zieht es erst noch zur zweiten westlichen Landzunge. Es geht vorbei an der Baie de Lampaul, die in den Hafen mündet. Den schwarz-weiß-gestreiften Phare du Créac’h erahnt man sogar durch den grauen Nieselregen in der Ferne. Zwischen den Häuschen reiht sich eine Weide an die nächste, meist umgrenzt von niedrigen Steinmauern, die ich bisher nur aus Irland kannte. Heute ist die Insel in etwa 55000 Parzellen aufgeteilt. Auf den meisten der kleinen Weiden grasen Schafe. Die im Reiseführer angekündigten Ouessantschafe sehen wir wenig, stattdessen grast meist das uns bekannte weiße Schaf. Das Ouessantschaf ist ein Zwergschaf, die kleinste Schafrasse Europas. Auf Ouessant allerdings sind sie beinahe verschwunden. Viele Schafe grasen aber auch auf nicht begrenzten Weiden. Wir wundern uns, ob die Tiere nicht weglaufen. Bei genauerem Hinschauen fällt auf, dass die Tiere mit langen Stricken aneinandergebunden sind, was sie dazu zwingt, als Paar oder gar als kleine Herde zusammenzubleiben. Historisch waren die Schafe nur 1/3 des Jahres in eingefriedeten Weiden, ab dem 15. Juli, wenn geerntet wurde, durften die Tiere frei auf der gesamten Insel weiden. Mit der Zunahme von Land- und Ackerwirtschaft wurde das paarweise Anpflocken neben der Weidefreiheit die gängigste Form. Schutz vor Raubtieren benötigen die Tiere auf der Insel nicht, zum Schutz von Wind und Wetter gab es früher Gwaskeds, kleine sternförmige Steinwälle, während die heutigen Schafe meist einen niedrigen Holzverschlag auf ihrer Weide stehen haben.

La Jument ist leider kaum mehr zu sehen. Die Sicht ist diesig grau. Etwas missmutig und immer hungriger fahren wir an der Pyramide de Runiou vorbei zurück nach Lampaul. Leider hat mittlerweile der Bäcker keine Sandwiches mehr, sodass wir Brioche-Sandwiches im Supermarkt kaufen und uns an der Kirche auf eine Bank setzen und endlich unser verspätetes Mittagessen genießen. Anschließend besichtigen wir die Kirche, deren Turmspitze ein englisches Geschenk als Dank für die Hilfe der Bewohner Ouessants beim Untergang der Drummond Castle ist, und streifen über den Friedhof. Neben dem kleinen Mausoleum mit dem Kreuz der proëlla, dass der vielen Seeleute gedenkt, die auf See umkamen und nicht bestattet werden konnten, für die aber hier kleine Wachskreuze stehen, faszinieren mich die vielen Bols mit einem Buchsbaumzweig, die auf vielen Gräbern stehen.

Nach der Stärkung radeln wir nach Penn Arlan, dem südöstlichen Ende der Insel. Es geht durch viele hübsche Weiler, wir lassen den kleinen Flughafen links liegen. Im Ort Kerlaouen beobachten wir zwei Schafe, die aneinanderangebunden auf einer Wiese stehen. Kein Zaun und keine Mauer begrenzen die Weide, nur dadurch, dass die zwei Tiere aneinander gebunden sind, bewegen sie sich nicht allzu weit weg. Wir fahren weiter zum schneeweißen Kreuz von Saint Pol von 1704, wo der heilige Pol gelandet sein soll. Von hier hat man eine freie Sicht auf den enfer Phare de Kéréon, der zwischen Ouessant und Molène in den Fromveur gebaut wurde.

Obwohl es auf der Insel eigentlich keine Bäume gibt – in einigen Gärten stehen heute natürlich ein paar niedrige Bäume – und die Vegetation recht niedrig und karg ist, ist sie reich und abwechslungsreich. Riesige Teppiche aus violetter Heide ziehen sich über die Insel. Zwischen der Heide wachsen Kissen, die zwar sehr weich aussehen, aber der Anschein täuscht: An den sehr harten Dornen stechen wir uns die Hände, die noch lange später schmerzen. Die violetten und gelben Farbkissen wirken in natura viel faszinierender als auf den Fotos. Und noch etwas umgibt uns: Es ist ein konstantes Summen von Hunderten Bienen. Die Ouessant-Biene ist berühmt, weil auf der Insel eine der noch wenigen unvermischten Populationen der reinen Dunklen Biene existiert.

Nachdem wir die Räder kurz durch die Heide und das Summen geschoben haben, erreichen wir die nächste Sehenswürdigkeit: Ein Cromlech, also ein Steinkreis. Die elliptische Anordnung von kleinen Menhiren ist etwa 2000 v. Chr. entstanden und diente möglicherweise astronomischen Zwecken. Zugegebenerweise ist der Cromlech tatsächlich recht klein, die Menhire sind kaum größer als kleine Findlinge, aber dafür schieben sich hier auch nicht so viele Tourist*innen vorbei wie in Stonehenge. Langsam wird es Abend, und wir beschließen, in der Hoffnung auf ein Abendessen nach Lampaul zu fahren. Obwohl wir nicht reserviert haben und auch deutlich underdressed sind, bekommen wir einen Tisch im Restaurant Fromveur, wo wir uns ein Menü mit leckerem Wein gönnen. Nach dem Essen stellen wir draußen fest, dass es stockfinster ist. Bei diesen Lichtverhältnissen würden wir nicht bis zu den Landzungen gelangen, zumal die Leuchttürme auch nicht zu leuchten scheinen. Ich bin recht enttäuscht, hatte ich mich doch so auf Fotografieren in der Dämmerung gefreut. Wir kehren im Ty Korn ein, einem Pub in Lampaul, und genehmigen uns noch ein Bier. Im Ty Korn fühlen wir uns wesentlich wohler und auch nicht so underdressed, und der Epagneul breton (Bretonischer Spaniel), der auf dem Tresen liegt – ja, ein echter Hund, der Hund des Besitzers – ist mir prinzipiell schon sympathisch. Früher sah man die Rasse häufig in der Bretagne, inzwischen ist sie nicht mehr in Mode. Nach dem Bier radeln wir nach Hause.

Tag 2

Der erste Blick aus dem Fenster zeigt: Das Wetter ist unverändert bescheiden, grau in grau, und es regnet. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Also machen wir das beste draus und stärken uns mit einen richtig französischen Frühstück: Ein bol café au lait, croissant und etwas Baguette auf die Hand mit gesalzener Butter und Marmelade. Mehrere Katzen leisten uns Gesellschaft. Nach dem Frühstück frage ich Frau Jezequel ein wenig über ihr Leben auf Ouessant, über dieses Haus, über ihre Familie. Sie erzählt, dass ihre Urgroßeltern das Haus gebaut haben, seitdem sei es in Familienbesitz. Im Moment seinen ihre an Alzheimer erkrankte Mutter, ihre Tochter und Enkel sowie ihre Schwester im Haus, um den Sommer hier zu verbringen. Sie selbst verbringe den Winter nicht auf der Insel, sondern habe noch ein Haus in Le Conquet. Heutzutage sei die Insel im Winter beinahe menschenleer. Das Leben sei einfach sehr rauh, einsam und trist. Und dadurch, dass nur noch wenige Männer Seemänner und nur noch wenige Frauen die Frauen von Seemännern sind, die sich das ganze Jahr über um Viehzucht, Ackerbau, die Instandhaltung der Häuser, um das Einkochen von Lebensmitteln, etc. kümmern, sondern die meisten vom Tourismus leben, hat sich das ganze Leben auf der Insel sehr gewandelt.

Sie fragt, was wir heute vorhaben, und wir berichten, dass wir je nach Wetterlage ins Musée des phares et balises und ins Ecomusée d’ouessant wollen, falls es zu sehr regnet, dass wir uns ansonsten die Pointe de Pern noch intensiver anschauen möchten. Sie berichtet, dass das Ecomusée geschlossen sei. Am 12. Juli, also vor nicht einmal zwei Wochen, sei ein Teil des Museums durch Brandstiftung zerstört worden. Bestürzt erfahren wir die tragische Geschichte eines Mannes, der erst mehrere Häuser auf der Insel anzündete, bevor er sich von Felsen ins Meer stürzte und so das Leben nahm. Ich erzähle, dass wir am Vortag an einem verbrannten Bauernhof vorbeigefahren sind, der noch verbrannt roch.

Wir brechen auf und radeln durch Lampaul in Richtung Pointe de Pern. Es geht vorbei an der Mühle von Karaes, eine Rekonstruktion. In früheren Zeiten standen über hundert Mühlen auf Ouessant, die das Korn der Bewohner mahlten. In Pern klettern wir über die riesigen Granitfelsen, schauen uns die Ruinen an, die alte Signalstation von Nividic, und ich fotografiere die enfer Nividic und la Jument – leider weiterhin im Nieselregen. Und so entschließen wir uns, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nämlich einerseits noch mehr über die Geschichte dieser Leuchttürme zu erfahren und andererseits für eine Weile im Trockenen zu sein, und besichtigen das Musée des phares et balises.

Hier gibt es nicht nur viele Leuchtturmlampen zu sehen, man erfährt auch viel über die Geschichte der Leuchttürme – und damit zusammenhängend auch viele Geschichten von Schiffsunglücken, die dann den Bau von Leuchttürmen notwendig machten. Eine Geschichte, die auf den Tafeln erzählt wird, gefällt mir besonders. Die Geschichte der hinkenden Rosé Héré, die sich in der Nacht vom 1. auf den 2.11.1903 ist Meer stürzte, um vierzig Seemänner zu retten. Sie wird bis heute als Heldin gefeiert. Sie steht für eine jener starken Ouessantfrauen, von denen man viel lesen kann. Die Frauen bestellten die Felder, Frauen sorgten ums Vieh. Die Frauen mussten immer stark sein in Abwesenheit der Männer, die als Seemänner diese Arbeiten nicht übernehmen konnten. So verwundert es nicht, dass auf Ouessant schon früh Frauen den Mann aussuchten, den sie heiraten wollten, und nicht andersherum.

Nach einem kurzen Umweg über Niou Huella, wo das abgebrannte Écomusée steht, Lampaul, wo wir uns mit Sandwichs und Galettes eindecken und ich mehrfach überlege, mir die typischen Ouessant-Gardinen zu kaufen (ich ärgere mich, als ich sie nicht kaufe), fahren wir wieder die Nordküste Ouessants entlang bis zur Île de Keller, der Insel, auf der nur ein Haus steht, die aber vor allem für Ornitholog*innen ein wichtiges Ziel ist. Auch wir beobachten die Vögel, die sich in Scharen auf den Felsen aufhalten.

Uns bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum Ablegen des Schiffes, und da wir die Räder noch fast eine Stunde zuvor wieder abgeben müssen, drehen wir noch eine kleine Runde zu Fuß. Wir wandern um die Baie de Poull Ifern zum Phare du Stiff, müssen aber gleich wieder umkehren.

Die Rückfahrt nach Le Conquet verbringen wir auch an Deck, um der Insel noch wehmütig hinterherzuschauen. Besonders erstaunlich finde ich, dass wir auf der Hinfahrt zwar sonniges Wetter hatten und auf der Rückfahrt einen grauen Himmel, dass wir auf der Hinfahrt aber Ouessant erst erspähen konnten, als wir von Molène ablegten, während wir nun bis fast in den Hafen von Le Conquet die Insel noch recht klar erkennen. Als wir gegen 21 Uhr am Festland ankommen, bin ich ganz durchgefroren vom Seewind.