Ein Besuch im Morbihan – Salz und Megalithkultur

Für zwei Tage geht es von Quimper aus nach Morbihan. Dort wohnt die Familie meiner ehemaligen Austauschpartnerin. Sie und ihren Mann kenne ich inzwischen seit 22 Jahren, und es ist herrlich, sie wiederzusehen, miteinander zu reden, zu philosophieren und diskutieren, zu lachen und in alten Erinnerungen zu schwelgen.

Den ersten Tag verbringen wir in Vannes und unternehmen eine Stadttour – allerdings ohne Kamera.

Für den zweiten Tag stehen gleich mehrere Tagespunkte auf dem Programm. Morgens geht es nach Saint-Armel zum marais salants. Den meisten Bretagne-Liebhaber*innen ist die Salzgewinnung von Guérande ein Begriff. Im Département Loire-Atlantique befindet sich die berühmte marais salants de Guérande, die inzwischen als Terre de Sel touristisch vermarktet wird. Auch in deutschen Supermärkten findet man Fleur de sel aus Guérande.

Einige Nummern kleiner ist die Salzgewinnung in Lasné in der Ortschaft Saint-Armel. Die Meerwassersaline ist alt, die ältesten Zeugnisse stammen aus dem 15. Jahrhundert, wird aber bis heute vor allem aus ökologischen Gesichtspunkten und wegen der verschiedenen Vogelpopulationen, die die Saline frequentieren, betrieben. Heute ist die Fläche 31 Hektar groß.

Man unterscheidet verschiedene Salzarten: industrielles Speisesalz, Sel marin und Fleur de Sel. Sel marin ist fein gemahlenes Meersalz. Fleur de Sel ist die oberste kristalline Schicht in den Salzgärten, die per Hand abgeschöpft wird. Sie entsteht nur an sehr heißen Tagen und bei Windstille. Der Name rührt daher, da dieses Salz wie Seerosen auf der Oberfläche schwimmt und die kristalline Form dafür sorgt, dass es wie eine Blume geformt ist. Bei unserer Wanderung durch die Marais salants de Lasné sehen wir sowohl das Graue Salz als auch Salzblumen.

Zum Mittagessen geht es nach Auray. Ich kenne den Hafen Saint Goustain schon aus einem Besuch in 2004. Dieses Mal wollen wir allerdings nicht in den pittoresken Hafen auf der linken Flußseite, sondern in die Stadt selbst, die oberhalb des Hafens auf der rechten Flußseite liegt. Auch der Blick von oben auf den Hafen ist sehr lohnenswert.

Gestärkt mit den besten Crêpes, die ich jemals gegessen habe, fahren wir ans Meer. Etwas südlich von Locmariaquer befindet sich, ein paar Meter vom Strand entfernt, der Dolmen des Pierres Plates. Bei der Megalithanlage handelt es sich um einen Knickdolmen. Die etwa 24 m lange Anlage war vermutlich ursprünglich als Cairn aufgeschüttet. Der  Eingangsbereich mit einer Deckenhöhe von 1,40 m zwingt die Besucher*innen zunächst in die Knie, aber vor allem nach dem Linksknick nach etwa sechs Metern wird die Deckenhöhe spürbar höher, was fast einen aufrechten Gang ermöglicht. Ungefähr auf Höhe des Knicks liegt eine kleine Seitenkammer. Die Hauptkammer liegt am Ende des Dolmen. Sie ist ungefähr gleich breit wie der Gang, wird aber durch eine senkrechten Platte vom Gang abgetrennt, die quasi „im Weg steht“.

Neben 38 großen Tragsteinen und sieben Decksteinen sind die Wände mit Bruchsteinen abgefüllt. Die großen Steinplatten sind weitestgehend aus Granit, lediglich vier Steine bestehen aus Orthogneis und sind vermutlich Teilstücke eines zerbrochenen Menhirs. Hierzu zählt die Deckenplatte der Hauptkammer.

Mich faszinieren vor allem die Ornamente, die in zwei Steinen mit bloßem Auge zu sehen sind. Angeblich sieht man mithilfe einer speziellen Lampe weitere Formen in der Hauptkammer, uns bleiben diese aber trotz Handylampen verborgen. Auf einem Stein stellen die Gravuren möglicherweise eine Fruchtbarkeitsgöttin mit vielfachen Brüsten dar, eine Sonderform der so genannten ‚Schildidole‘. Es handelt sich also um schildförmige Bildzeichen, die eine Muttergöttin darstellen. Diese Darstellungen gibt es mit oder ohne Kopf, mit Brüsten, teilweise auch vielen Brüsten, oder Armen, manchmal konzentrisch vervielfältigt. als multiple Bögen. Die zweite Darstellung, eine rippenartige Gravur, wurde zunächst als Palme oder Skarabäus mit deutlichem ägyptischen Einfluss gedeutet. Heute geht man davon aus, dass auch in dieser Art der Darstellung die Muttergöttin abgebildet wird.

Der Dolmen wird heute meist auf den Zeitraum zwischen 4200 und 4000 v. Chr. datiert, einige Forscher*innen ordnen ihn allerdings ins jüngere Neolithikum, d. h. in die Zeit zwischen 3500 und 3000 v. Chr.

Wir verabschieden uns von unseren französischen Freunden und machen auf dem Rückweg noch Halt in Locmariaquer, wo wir die Megalithanlage um Table des Marchands (Dolmen und Cairn), Grand Menhir Brisé (zerbrochener Menhir) und Er Grah (Dolmen und Tumulus) besichtigen, die in der Anlage Site des mégalithes de Locmariaquer liegen. Es geht durch die Kasse, das Besucherzentrum, wo wir einen kurzen Infofilm zu sehen bekommen, am obligatorischen Souvenirshop vorbei auf die Außenfläche. Dort liegen die drei Sehenswürdigkeiten fast nebeneinander – die allerdings von großen Personengruppen bestaunt werden. Wir umwandern zunächst den Tumulus Er Grah, weil sich gerade die wenigsten um das Bauwerk tummeln. Auch wenn der Bau heute nicht mehr vollständig erhalten ist, erstreckt er sich über eine große Fläche. Ausgrabungen haben ergeben, dass die Baugeschichte um 4500 v. Chr. mit mehreren Grabkammern und Opferstätten begann, die um 4200 v. Chr. mit einem Dolmen bedeckt wurden, der wiederum zunächst mit einem Steinhügel umschlossen war, also von einem sogenannten Cairn, der zusätzlich von einem Tumulus umgeben war, also mit einem Erdhügel aufgeschüttet wurde. Im Laufe der Zeit wurden viele Bruchsteine entnommen, die Erde vermutlich abgetragen und der Tumulus deutlich verkürzt. Heute fehlt die Erde, sodass wir nur den geschlossenen Dolmen sehen – das ist ungewöhnlich, denn üblicherweise haben Dolmen einen Eingang -, der von einem trapezförmigen Tumulus mit ca. 140 m Länge und 16 bis 26 m Breite umgeben ist. 

Ein paar Schritte weiter liegt der Grand Menhir Brisé, der größte uns heute bekannte Menhir weltweit – allerdings ist er schon lange nicht mehr der größte, sondern er ist in vier Einzelstücke zerborsten. Ursprünglich war er 20,6 m lang, wobei man sich gar nicht vorstellen kann, wie er auf Baumstämmen an seinen Ort transportiert und dort aufgerichtet worden sein mag. Archäolog*innen vermuten, dass er mithilfe von Seilen, Hebeln und Erdaufschüttungen an seinen Platz kam. Dort stand er jedenfalls um 4500 v. Chr. als letzer Stein in einem Alignement aus 19 Steinen, die zum Hauptstein der Table des Marchands führten. Um 4200 v. Chr. stürzte der Grand Menhir um. Möglicherweise geschah dies von Menschenhand. Zu dieser Zeit wurden viele Menhire zerstört und umgestürzt und ihre Steine als Deckensteine für Dolmen verwendet, wie bei Pierres Plates, aber auch beim Dolmen Er Grah und bei der Table des Marchands geschehen. Die auffallend geraden Bruchkanten deuten auf ein menschenverursachtes Umstürzen hin. Möglicherweise gab es um 4200 v. Chr. einen weitreichenden kulturellen und religiösen Wandel, der sich an der Zerstörung von großen Menhiren und deren Weiterverwendung in Dolmen zeigt.

Inzwischen ist eine Menschentraube vor der Table des Marchands angekommen, die aber von einer Führerin vor dem Eingang zum Dolmen einige Erklärungen erhalten, so dass wir schnell den Kopf einziehen, hineinschlüpfen und den bemerkenswerten Dolmen mit nur wenigen anderen Menschen teilen müssen. Wieder ist der Eingangsbereich gerade mal 1,40 m hoch, im Innern aber steigt die Deckenhöhe deutlich an. Der Dolmen und Cairn ist etwas jünger als die anderen beiden Bauwerke. Nachdem das oben erwähnte Alignement zerstört worden war, wurde zu Beginn des 4. Jahrtausends v. Chr. der Dolmen errichtet, der möglicherweise als Kult- und Versammlungsstätte diente. Die meisten Steine sind zwar aus Granit, doch dient als Bodenplatte ein Sandstein, mehrere Gangsteine und der gewaltige Deckstein sind aus Orthogneis, das leichter zu bearbeiten war als Granit, allerdings aus dem 10 km entfernten Auray stammte. Der große Hauptstein ist auch aus Sandstein und somit leicht zu bearbeiten. Die Lücken im Dolmen waren mit Bruchsteinen geschlossen. Darüber befindet sich heute ein rekonstruierter Cairn, der ursprünglich vermutlich von einem Erdwall umschlossen wurde. Die Erde wurde im Laufe der Geschichte wahrscheinlich abgetragen, so dass der Dolmen wie ein gewaltiger flacher Tisch auf drei Beinen aussah, woher er seinen Namen erhielt.

Zwei Steine im Innern sind mit Ornamenten versehen. Auf der großen, nach unten gewölbten Deckenplatte ist ein sogenannter Beilpflug zu erkennen, ein Symbol für die Sesshaftigkeit, und die Vorderbeine, Brust und ein Teil des Kopfes eines Rindes. Gerade dieses Rind ist äußerst interessant, denn die Hörner des Tieres befinden sich auf dem Deckstein von Gavrinis. Gavrinis ist eine Insel im Golf du Morbihan, auf der der Cairn de Gavrinis steht, auf dessen Deckenplatte neben den Hörnern auch noch ein weiteres Rind und ein Teil eines Axtpfluges zu sehen ist, dessen andere Hälfte möglicherweise in der Deckplatte in Er Grah wiederzufinden ist. Wahrscheinlich ist hier ein zerbrochener Großmenhir wiederverwertet worden. Der zweite behauene Stein im Dolmen ist der 3,20 m hohe Hauptstein, der auffällig in einer Art Spitzbogen geformt ist. Dieser Stein war möglicherweise die letzte Stele im Alignement und stand bereits am Ort, wo er später in den Dolmen integriert wurde. In ihn sind 49 reliefartige nach links und rechts weisende Krummstäbe graviert. Sie werden auch als Ähren oder Sonnenstrahlen gedeutet. Am Rand des Steins wiederholen sich die Krummstäbe, so dass der Stein zu einem Schild wird. In der Mitte befinden sich weitere Ornamente, die allerdings so stark verblasst sind, dass man sie nicht mehr erkennt. Auffällig ist das Wort „Gazelle“, das in den Stein geritzt zu lesen ist. Hierfür sollen Schiffbrüchige am Anfang des 20. Jahrhunderts verantwortlich sein.

Besucher*innen sollten bedenken, dass man zum Schutz der Gravuren die Trag- und Deckensteine neu behauen und ausgetauscht hat. Man bewundert hier also nur Rekonstruktionen.

Nach einem kurzen Rundgang durch den Souvenirshop treten wir die Heimweg nach Quimper an.